Blog von Johannes Lötzsch

Piraten und bisherige (schw)ampelfarbige Meeresbewohner

Sat, 08 Aug 2009

Tags: Piraten, Bewertung, Vision

Der Menschenrechtskämpfer Mahatma Gandhi hatte es nicht einfach, als er mit Satyagraha (Festhalten an der Wahrheit) etwas verbessern wollte. Einst äußerte er sich so: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du“. Es ist sicherlich ein streitbarer Vergleich, den ein Pirat in einem Video brachte, aber Die Piraten kämpfen mit ähnlichen Mitteln und Problemen für vergleichbare (aber gleichzeitig komplett unterschiedliche) Ziele:

Wie gehen die anderen Parteien mit den Piraten und ihren Themen um?

Bevor man über de Piraten urteilt, sollte man meiner Meinung nach betrachten wie sich die etablierten Parteien bezüglich der „Piraten-Themen“ verhalten — Im folgenden ein Versuch…

CDU/CSU

Unterschiedlicher als Union und Piraten könnten zwei Parteien kaum sein, sowohl im Bezug auf Inhalte, als auch auf die Wähler. Zu den Inhalten der CDU muss man nicht viel sagen (man könnte sie als Gegenteil zu dem bezeichnen, was die Piraten fordern). Zu den Wählern gibt es interessante Statistiken des Bundeswahlleiters von der Europawahl, die gut aufgearbeitet wurden.

Die Konservativen brauchen in den Piraten keine direkte Konkurenz sehen, da kaum ein Wähler vor dieser Entscheidung zwischen Schwarz und WeißOrange stehen dürfte. Die Piratenwähler kommen aus Oppositionsparteien — Es besteht sogar die Gefahr, dass die Piraten ungewollt der CDU zum Wahlsieg verhelfen könnte. Für Strategie-Wähler könnte das ein Grund gegen eine Stimme für die Piraten sein. Idealisten sollten darin eher einen Fehler in unserem Wahlsystem sehen.

Auch wenn die Piraten keine Negativkampagne der CDU gegen sich zu befürchten hat — Union und Piraten (sowie dem überwiegenden Teil der aktiven Netzwelt) trennen die Wähler in zwei komplementäre Lager — Dies wird von beiden Seiten leider mit viel Polemik bis Demagogie vorrangetrieben. Die Piraten haben den Internet-Slang inclusive Spitznamenpolemik von den Netzaktivisten übernommen. Während diese Form von Sarkasmus bei vielen Internetbewohnern auf Zustimmung stößt, wird sie von vielen (potentiellen) CDU/CSU-Wählern häufig fälschlicher Weise als Zynismus aufgefasst und kommt alles andere als gut an. Das wird von der schwarzen Pest (auch ich kann/will mir den schwarzen Humor nicht verkneifen — Zumindest nicht an dieser Stelle) für Wahlkampfzwecke ausgenutzt: Das Internet wird als Tummelplatz für Bombenbauer, Terroristen, Pädophile, Rechtsextreme und Hetzpropagandaschreiber bezeichnet, Fachleute als zwangsläufig schwerst kriminell abgetan und „Killer“-Spieler als zukünftige Amokläufer charakterisiert. Wähler, die sich mit diesen Themen kaum auskennen, glauben „ihrer Partei“…

Um in der Sache vorran zu kommen ist es unerlässlich, neben den Internetaffinen auch den „Internetausdruckern“ unsere Welt mit den für sie richtigen Worten zu erklären! Auch die Offline-Teilnehmer dieses Landes lassen sich von Fakten überzeugen — Offensichtliche Lügen („Kinderpornografie in 95 Prozent der Länder weltweit noch kein Straftatbestand“, „Kinderporno-Land Indien“) müssen aufgeklärt und auch außerhalb des Internets berichtigt werden.

Wenn die CDU die Schuld für die Zensur auf die SPD schiebt, wurde immerhin schonmal das Problem als solches (wenn auch nicht mit allen Schuldigen) erkannt ;)

SPD

Die SPD ist bekanntermaßen zerstritten — Sie deckt das gesammte Spektrum vom mit der CDU kuschelnden Teil bis zu den „SPD-Piraten“ ab — Alles was ich für die anderen Parteien sage, gilt demnach o.B.d.A. auch für die SPD.

Für meinen Wahlkreis regiert eine Frau der ersteren Sorte — Marlies Volkmer hatte mir auf meine Mail hin (nach langer Verzögerung) die gleiche Antwort wie auch andere sie bekommen haben gesendet.

Als positives Beispiel möchte ich die Jusos aus Sachsen nennen, die hatten immerhin bei der Online-Durchsuchung etwas (wenn auch nicht sehr viel möglich war) bewirkt.

FDP

Die FDP sieht sich selbst als vorbildlicher Vertreter der Bürgerrechte — Ihr handeln ist aber stark davon abhängig, ob sie gerade in der Opposition oder mit dem „falschen“ Koalitionspartner im Bett ist.

Scheinbar sieht die FDP die Piraten als ernste Gegner — kürzlich tauchte ein spannender Argumentations-Leitfaden der FDP gegen die Piraten auf. In diesem wird als „beste Strategie“ genannt, „die Piratenpartei gar nicht erst selbst aktiv ins Gespräch zu bringen und dadurch ihren Bekanntheitsgrad weiter zu steigern“ — Als es den Piraten in die Hände gefallen ist, wurde das Dokument gleich mal auf die eigene Seite kopiert, genannte Kritikpunkte wurden teils besprochen teils belächelt…

Linke

Von den Linken hab ich im Zusammenhang mit den Piraten nicht sonderlich viel gehört, auf sie dürfte irgendetwas zwischen FDP (mit der die Linken ja außer Bürgerrechten sonst kaum etwas gemeinsam haben) und Grünen zutreffen.

Im Berliner Abgeordnetenhaus konnten mich Rot-Rot nicht überzeugen. Schade auch, dass bei der Abstimmung zum Zugangserschwerungsgesetz viele fehlten.

Bei der Opposition aus der Heimat sieht es deutlich besser aus, im sächsischen Landtag hat die Linke bei mir meist einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Auch die Antwort von Katja Kipping auf meine Anfrage zu ihrer Position zum Zugangserschwerungsgesetz war damals sehr erfreulich.

Im Zusammenhang mit den Aktivitäten 2006 gegen die Videoüberwachung auf der Alaunstraße kann ich mich an eine gute Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Parteien erinnern, bei der die Linken eine zentrale Rolle einnahmen. Weitere solche gemeinsame Aktivitäten mit Sach- statt Parteipolitik wären wünschenswert.

An dieser Stelle möchte ich meine Freude darüber ausdrücken, dass Mitglieder der Linken und der Grünen (ich weiß sogar von Landtagsabgeordneten) beim Sammeln der Unterstützerunterschriften für die Landtagswahl der Piraten geholfen haben — Das ist gelebte Demokratie und vorbildliches Engagement für Inhalte!

Grüne

Eine lesenswerte Kritik eines Grünen über die Piraten hat Achim Wesjohann geschrieben, ich stimme ihm in vielen Punkten zu. Dennoch müssen sich die Grünen überlegen, was sie selber falsch gemacht und damit den Piraten überlassen haben!

Den Fall Thiesen sollte man weder über-, noch unterbewerten — Das so etwas in einer jungen, unstruktrierten Partei (in der man sich noch nicht so gut kennt) passieren kann ist verständlich, das ist den Grünen damals auch passiert. Allerdings müssen aus dem Fall größere Konsequenzen gezogen werden um so etwas für die Zukunft zu vermeiden — Die Piraten sollten sich klar gegen jegliches rechtes Denken abgrenzen!

Bezüglich der Anzahl der Mandate für die sächsische Landtagswahl und der Anmeldung zur Bundestagswahl sehe ich das ähnlich wie im obrigen Fall: Versäumnisse dieser Art können am Anfang leider passieren — Für die Zukunft hat man hoffentlich draus gelernt!

Viel kritischer sehe ich, dass ein Pirat in Berlin ausgerechtnet Hans-Christian Ströbele sein Direktmandat streitig machen möchte — Das hat für mich nichts mit Sachpolitik zu tun!

Die Grünen werden häufig als die den Piraten ähnlichste Partei bezeichnet, das sehe ich aufgrund folgenden Gemeinsamkeiten ähnlich:

Erste gemeinsame Aktivitäten zwischen Grünen und Piraten gibt es bereits: Fraktion im Europaparlament, Freiheit statt Angst, AK Datenbank — Das ist in meinen Augen der richtige Weg!

Was wünsche ich mir von den Piraten

Obwohl andere Parteien die Themen der Piraten zum Teil ähnlich gut abdecken, erhoffe ich mir einen Mehrwert durch die Piraten:

Kritikpunkte und Wünsche für die Zukunft:

Ich bin und bleibe bekennendes Nicht-Parteimitglied — Keine Partei konnte mich bisher ausreichend überzeugen. Vielleicht überleg ich es mir irgendwann nochmal anders, aber bis dahin beobachte ich das Parteienaquarium weiterhin mit durchmischten Gefühlen und unterstütze verschiedene Parteien bei konkreten Inhalten und Aktivitäten…

Update:

Achim Wesjohann hat einen weiteren guten, kritischen Beitrag über das Wahlprogramm geschrieben und die Piraten haben bereits angefangen über die konstruktive Kritik zu sprechen. Wesjohann zeigt viele Stellen im Programm auf, die beim nächsten mal ausführlicher sein sollten. Andererseits ist es meiner Meinung nach garnicht verkehrt, dass die Piraten erstmal ihre prinzipiellen Ideale aufschreiben statt sich sofort auf konkrete Maßnahmen (die später zweifellos benannt werden müssen) festzulegen. Ein interessantes pragmatisches Argument gegen ein Vollprogramm wird in der „wunderbaren Welt von Isotopp“ besprochen.

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