Blog von Johannes Lötzsch

Wie die sächsische Polizei die Meinungsfreiheit einschränkt

Mon, 03 Aug 2009

Tags: Privat, Überwachung, Meinungsfreiheit, Versammlungsrecht, Johannes Lichdi, Piraten, AK Datenbank, Anfrage, Albrecht Buttolo, Repression, Polizei Sachsen, Demonstrant, Waldschlößchenbrücke, potentielle Störer, Auskunftsrecht, Ordnungswidrig, Nazi, Stephan Kühn, Demokratie, Freiheit statt Angst, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Erich Kästner

Wie die Polizei uns überwacht

Ich habe gerade von Johannes Lichdi eine Mail mit einer interessanten Pressemitteilung bekommen:

Als innenpolitischer Sprecher der Grünen hatte er wieder einmal eine spannende Anfrage an die sächsische Staatsregierung gestellt, diesmal wollte er wissen was die sächsische Polizei über seine Bürger speichert. In der Antwort heißt es: „Der Polizeivollzugsdienst kann personenbezogene Daten speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben, zu einer zeitlich befristeten Dokumentation oder zur Vorgansverwaltung erforderlich ist“ — Es werden derzeit reichlich 7 Millionen Personendatensätze gespeichert, das sind im Schnitt 1,7 pro Einwohner! Innenminister Buttolo (CDU) möchte die Errichtungsanordnung geheim halten „um Einblicke in die Polizeiarbeit zu verhindern“! Dem entgegnet Lichdi: „Wer kontrolliert die Polizei? […] Bürger und Bürgerinnen müssen das Recht haben, Polizeiarbeit nachvollziehen zu können. Polizeiliches Handeln muss berechenbar bleiben.“

Repression gegen Demonstranten

Besonders schlimm für die freie Gesellschaft dürften sich die Repressionen gegen offensichtlich friedliche Demonstranten auswirken, so „wird mittlerweile sogar die völlig legale Ausübung von Grundrechten wie die Versammlungsfreiheit akribisch von der Polizei beobachtet, vermerkt und gespeichert“! So schreibt Michael Grasemann beispielsweise: „Ich bin entsetzt über die Masse gesammelter Daten. Die Polizei stigmatisiert mich so wörtlich als ‘bekannten Täter’, obwohl die Staatsanwaltschaft das Verfahren längst eingestellt hat. Und dies offenbar nur, weil ich mich jahrelang für das Dresdner Welterbe engagiert habe.“ In der PM heißt es: „Die Polizei vermerkt akribisch, dass Grasemann Demonstrationen angemeldet hat und notiert den Inhalt von Transparenten, als ob Versammlungen keine Grundrechtsausübungen, sondern eine Straftat wären“, ein solcher Eintrag sieht so aus: „Durch die ‘Initiative zum Erhalt des Welterbetitels’ wird eine Mahnwache durchgeführt. Es befinden sich 13 Personen und ein Hund vor Ort. Es wurde in einer Eisenschale ein Holzfeuer angezündet. Löschwasser ist vorhanden. Nach Rücksprache mit der Feuerwehrleitstelle gibt es keine Bedenken zu dem Vorhaben [...] Im Rahmen der Demo wurde ein ca. 30 m langes Transparent mit dem Inhalt ‘OROOZ contra Welterbe’ gezeigt und gemeinsam von den ca. 30 Teilnehmern gehalten“.

Das die Polizei inzwischen fast jede friedliche Kundgebung filmt (und die Daten für unbekannte Zeit aufhebt) muss ich niemandem erklären der in den letzten Jahren aktiv war. Was das für folgen hat, musste ich erst vorhin (in einem anderen Zusammenhang) im Gespräch mit Freunden hören: „Ich äußere meine kritische Meinung nicht öffentlich, weil ich die Folgen fürchte“! Ohne das Original verharmlosen zu wollen — Ich finde den Begriff Stasi 2.0 geeignet, um vor den aktuellen Tendenzen und ihren Auswirkungen auf die Zukunft zu warnen.

AK Datenbank vorgestellt

Auf Initiative von Grünen und Piratenpartei wurde nun der „AK Datenbank“ gegründet — ein schönes Beispiel wie gemeinsame Sachpolitik aussehen kann…

Das parteiübergreifende Aktionsbündnis beschreibt sich selbst so: „Wir wenden uns gegen die ausufernde polizeiliche Erfassung politisch engagierter Bürgerinnen und Bürger. Eine offene Gesellschaft ist Grundlage unserer Demokratie. Es darf nicht sein, dass das Verhalten von politisch oder anderweitig engagierten Menschen dokumentiert, als “auffällig” eingeschätzt, auf dieser Basis Bürger als “potentielle Störer” eingestuft und daraufhin Adressat besonderer polizeilicher Beobachtung oder Restriktionen werden.“ Sie fordern:

  1. klare rechtliche Grenzen für die Datenverabeitung durch die Polizei und andere staatliche Stellen
  2. Begrenzung des polizeilichen Handlungsrahmens im Vorfeld konkreter Gefahren und gegen sog. “Nichtstörer”
  3. Transparenz polizeilichen Handelns
  4. Stärkung der Auskunfts- und Löschungsansprüche der Bürgerinnen und Bürger
  5. überwachungsfreie Räume und freie Kommunikation

Der Arbeitskreis informiert über Auskunftsrechte bezüglich der eigenen Daten

und stellt dafür vorgesehene Formulare für Auskunftsersuch und Löschaufforderung bereit.

Auch ich persönlich von Repression betroffen

Diese Woche ging bei mir (und anderen Aktivisten) ein Schreiben ein, in dem mir vorgeworfen wird: „Sie haben […] an einem Aufzug im Rahmen der Aktion Bildungsstreik 2009 teilgenommen. Durch ihr handeln fühlte sich die Allgemeinheit erheblich belästigt. Im Rahmen dieser Aktion beteiligten Sie sich an einem symbolischen Banküberfall, bei welchem lautstarke Äußerungen getätigt und Flyer verteilt wurden.“

KSS, Dresdner Polizei, DNN, Indymedia und NerdyRoomTM schrieben über die Kunstaktion im Rahmen der Bundesweiten Aktionen, über welche auch Sächsische Zeitung, Youtube (friedlich, übertrieben hart, brutal boxend) und viele anderere Medien berichteten. Über die Aktion wurde sogar im Bundestag gesprochen.

Ich werde beschuldigt einen Rechtsverstoß nach § 118 Abs. 1 OWiG begangen zu haben. Dieser lautet: „Ordnungswidrig handelt, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen.“ — Die Strafandrohung scheint davon unabhängig zu sein (IANAL), ob eine moralische Vorwerfbarkeit (ethischer Unwert) vorliegt.

Unter „Beweise“ wird übrigens „Staatsschutz“ genannt — Nur gut, dass die heute (zumindest in Dresden) nicht ganz so hart wie zu den Zeiten der Staatssicherheit mit friedlich geäußerter, begründeter Kritik umgehen…

Ich bin mir keiner Schuld bewusst — Aber egal wie über mich geurteilt wird, ich werde mir meine Meinung und mein Recht diese Kund zu tun nicht verbieten lassen!

Mich würde ja mal interessieren, ob ich mit dem Platzverweis für das verteilen von Flyern und unterhalten mit Passanten (von denen die Meisten alles andere als „belästigt“ reagiert haben) schon in die sogenannte Datenbank „Gewalttäter Links“ (von der wir kürzlich Dank der Linken erfahren durften) registriert wurde ;) Aber das lässt sich sicherlich herausfinden, es ist nur eine Frage der Zeit bis diese geheimen Namenslisten das nächste mal veröffentlicht werden. Es dient meinem Vertrauen in diese Datensammler nicht sonderlich, wenn sie zum wiederholtem Male Exel-Tabellen „ausschwärzen“ (schwarze Schrift auf schwarzem Hintergrund) und dann veröffentlichen (und da steht ja auch nur drinne wem welche Straftat vorgeworfen wird)…

Das ganze erinnert mich an die Strafe für das Engagement des Stadtrats Stephan Kühn. Ist es nicht paradox, dass die Neonazis zum Jahrestag der Zerstörung Dresdens am Sabbat vor der Synagoge vorbeimarschieren dürfen — aber das „laute, jüdische Musik“ (Originalton Anklageschrift) spielen hinter dem Fenster der Stadtratsfraktion bestraft wird weil es die Nazis stört???

Aus Menschenwürde die Meinungsfreiheit abschafen

In diesem Zusammenhang gefällt mir folgender Kommentar des Lawblog ein: „Frau von der Leyen münzt das Abwehrrecht gegen den Staat in einen Handlungsauftrag des Staates um. Plötzlich ist die Menschenwürde ein Grund für staatliches Eingreifen – der Staat schützt die Menschenwürde seiner Bürger, indem er Dritten den Mund zuhält oder durch Stoppschilder dafür sorgt, dass sie im Internet nicht mehr gelesen, gesehen und gehört werden können. Das entfernt sich weit vom eigentlichen Sinn und Zweck des Grundrechts auf Menschenwürde. Wie absurd das Ganze ist, zeigt sich an von der Leyens Aussage, die Bewahrung der Menschenwürde begrenze Demokratie und Meinungsfreiheit auf das “richtige Maß”. So werden aus rechtsstaatlichen Grundelementen, die sich bedingen und ergänzen, Gegensätze.“

Freiheit statt Angst — Sag deine Meinung!

Wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter Böckenförde sagte: „[Der freiheitliche Staat kann] nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert“; oder wie es Kästner ausgedrückt hat (und wie auf dem Deckel meines Laptops steht): „Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist“ — Niemand kämpft für unsere Rechte, wenn nicht wir selber!

Ich hoffe, ich habe den ein oder anderen von euch wieder wach gerüttelt — Steht auf und tut mal wieder was für die Freiheit, es ist einmal mehr Zeit!

Am 12. September ist die diesjährige Freiheit-statt-Angst-Großdemo. 2006 waren es ca. 1000 Teilnehmer, 2007 waren wir 15.000, 2008 knapp 100.000 — Dieses Jahr geht noch mehr — Wir sind über 82.000.000 die es betrifft!

Ich bin zu dem Termin dieses Jahr 1850km entfernt, werde aber in Gedanken ganz in der Nähe sein. Ich hoffe ihr vertretet mich zahlreich — Dem ersten, der meint „ich würde ja hinfahren wenn ich das Geld hätte“ (das musste ich leider wirklich schon hören!) zahle ich die Fahrt1. Studenten aus DD können mit Sem-Ticket bis an die Grenze zu Brandenburg, ab dort lohnt sich ein zu fünft gekauftes Brandenburgticket. Für alle weiter anreisenden lohnen sich Wochenendtickets oder die Mitfahrt in einem der geplanten Busse und Sonderzüge. Wenn ihr noch jemanden für die Fünferkarte oder Mitfahrgelegenheit im Auto sucht, fragt mal in den einschlägigen Gruppen nach oder seid pünktlich am Fahrkartenschalter / am Bahnsteig.

1 gilt nur für Anreise mit angemessenem Verkehrsmittel aus Sachsen (oder von wo anders bei ähnlichen Kosten)

PS: Ja ich weiß, dass es jetzt alles wieder mal etwas einseitig war — Aber kann ja nicht schaden, wenn diese Seite (deren Bericherstattung unterrepräsentiert ist) mal wieder ausführlicher betrachtet wird ;)

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