neue Außerparlamentarische Opposition?
Tue, 01 Sep 2009
Tags: APO, Wahlbeteiligung, Wahlsystem, strategisches Wählen
Die Zeit hat diese Woche einen spannenden Artikel veröffentlicht; Er ist überschrieben mit „Internetrebellen, Nichtwähler, junge Aktivisten – sie sind für die Politik zu gewinnen, aber nicht für die Parteien. Zu Besuch bei den Vorkämpfern eines neuen politischen Bewusstseins“. Dieser Beitrag beschreibt sehr gut, was ich im letzten Jahr des öfteren gedacht habe: Es gibt ernstzunehmende Tendenzen für eine neue politische Bewegung. Sie ist stark inhomogen, steht für sehr unterschiedliche Ziele und äußert sich in noch unregelmäßigen Formen. Dennoch gibt es bemerkenswerte Gemeinsamkeiten…
Viele Medien, Politiker und Bürger, die sich mit dieser Bewegung noch nicht so intensiv auseinandergesetzt haben, nehmen sie (noch) nicht als solche wahr. Entsprechend verstehen sie auch nicht die Rekord-Petition und andere Internetproteste, erfreulich wachsende Demonstrationen für die Freiheit auch Offline, sowie den enormen Wachstum der Piraten. Den Piraten wird keine Chance vorausgesagt, weil sie im Gegensatz zu den Grünen nicht auf einer Bewegung beruhen soll. Dem widerspricht aber, dass die Piraten in sämtlichen Online-Portalen unter Jugendlichen weit beliebter als alle anderen Parteien sind und sich zügig auf allen Kontinenten ausgebreitet haben.
Es ist wahr, das die Piraten derzeit nur einen Teil der Bewegung abdecken (das macht dafür die kollektive Intelligenz des Internets einschließlich der Blogosphäre). Die Piraten würden gut daran tun, ihre inhaltliche Ausrichtung in den nächsten 4 Jahren entsprechend zu erweitern. Ebenso sollten die anderen kleineren Parteien auf diesen Gebieten versuchen echte Alternativen gegenüber den (zunehmend ausschließlich nach eigenen Aussagen christlichen, sozialen und demokratischen) „Volksparteien“ zu bieten.
Die seit 1972 fallende Wahlbeteiligung und die damit einhergehend sinkende absolute Stimmanzahl für die Regierungen machen deutlich, wie groß das Potential der mit dieser Politik unzufriedenen Wahlberechtigten ist. Spaßparteien wie APPD, die Partei Die Partei oder Horst Schlämmer Partei karikatieren den Unmut über die großen Parteien.
Andere Kleinparteien mit ernsterem Hintergrund (wie z.B. Die Violetten) scheitern jeweils an den Hürden unseres Wahlsystems, würden aber ansonsten (bei knappem Wahlausgang und auf Dauer sicherlich erst recht) eine entscheidente Rolle spielen. Die Sperrklausel ist zwar aus gutem Grund eingeführt worden, wirkt sich nach meiner Auffassung aber langfristig eher Nachteilig für die Stabilität der Demokratie aus (dem muss ich bei Gelegenheit mal einen eigenen längeren Blogeintrag widmen).
Direktere Demokratie und transparentere+offenere Parteistrukturen würde sicherlich viele zu mehr politischem Interesse bringen. Aber ohne dass die Bürger aktiv werden, wird sich sicherlich garnichts daran ändern — Selbst offensichtliche Fehler in unserem Wahlrecht wie das Paradoxa „Negatives Stimmgewicht“ (für das die Grünen einen Änderungsvorschlag eingebracht haben) werden nicht korrigiert obwohl das Verfassungsgericht dazu aufgefordert hat. Statt etwas gegen den „Zwang“ strategisch zu wählen (der bis zu Stimmenhandel führt) zu unternehmen, werfen die Politiker ihren Wählern Wahlmanipulation vor, wenn diese Prognosen verbreiten…
Da fällt mir doch wieder der Refrain vom Narrenschiff ein:
„Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken
Und der Maschinist in dumpfe Lethargie versunken,
Die Mannschaft lauter meineidige Halunken,
Der Funker zu feig' um SOS zu funken.
Klabautermann führt das Narrenschiff
Volle Fahrt voraus und Kurs auf's Riff.“
…Da kann man nur über alle froh sein, die den Kurs „entern“ wollen…
Update:
Dazu passende Satire / Aufforderung wählen zu gehen…